Langzeitprovisorium
Unter einem Langzeitprovisorium versteht man die vorübergehende Versorgung von für eine Kronen- oder Brückenversorgung vorgesehenen und präparierten (beschliffenen) Zähnen über einen längeren Zeitraum.
Provisorien – zur Kurz- wie zur Langzeitversorgung – dienen generell:
- dem Schutz des präparierten Zahnes vor thermischen, mechanischen und chemischen Reizen
- dem Schutz der Dentinwunde (des beschliffenen Zahnbeins) vor bakteriellen Noxen (Schadstoffen)
- der Ästhetik
- der Sicherstellung der Kaufunktion
- der Sicherstellung der Phonetik (Lautbildung)
- der Sicherung der Zahnposition
Langzeitprovisorien haben darüber hinausreichende Aufgaben. Mit ihrer Hilfe können geplante Veränderungen der Kieferrelation (Lagebeziehung von Ober- und Unterkiefer zueinander) und der Okklusion (Zusammenspiel der Ober- und Unterkieferzähne beim Kauschluss und bei den Kaubewegungen) durchgeführt und der Therapieerfolg über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, bevor die definitive (endgültige) Versorgung eingegliedert wird. Auch zur Überbrückung von Ausheilphasen nach chirurgischen Eingriffen oder endodontischen (Wurzel-) Behandlungen kann eine provisorische Langzeitversorgung erforderlich werden, um dem Knochen und Weichgewebe Zeit zur Regeneration zu geben.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Therapeutische Veränderungen von Kieferrelation bzw. Okklusion
- Ausheilphasen – z. B. nach einer Parodontaltherapie
- Beobachtungszeit für zunächst hinsichtlich ihrer Erhaltungsfähigkeit fragwürdige Zähne, die für eine weitere prothetische (Zahnersatz-) Versorgung von Bedeutung sind – z. B. postendodontische Zähne (nach Wurzelkanalbehandlung)
- Veränderungen der Ästhetik – z. B. Farb- oder Formveränderungen
- Veränderungen der Phonetik – Korrekturen der Zahnstellung mittels Kronen
- Palliativversorgung von Tumorpatienten
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- prognostisch günstige Zähne
- keine geplanten Veränderungen der Kieferrelation bzw. Okklusion
Anforderungen an ein Langzeitprovisorium
- Mundbeständigkeit
- mechanische Belastbarkeit
- Reparatur- und Ergänzungsmöglichkeit – z. B. zur Veränderung der Okklusion oder zur Anpassung der Kronenränder
- Farbstabilität
- Abrasionsfestigkeit (geringer Abrieb)
- Hygienefähigkeit
Die Verfahren
Langzeitprovisorien werden in der Regel aus folgenden Kunststoffen angefertigt:
- Polymethymethacrylate (PMMA)
- Bis-GMA-Komposite
- glasfaserverstärkte Komposite
Langzeitprovisorien kleineren Umfangs können in direkter Technik mittels Abformungen, die vor der Präparation (dem Beschleifen) des betreffenden Zahnes genommen werden, im Mund des Patienten hergestellt werden. Nach der Präparation wird die Abformung im Bereich des beschliffenen Zahnes mit Kunststoff gefüllt und in den Mund zurückgesetzt. Durch den Substanzabtrag ergibt sich eine Hohlform, in welcher der Kunststoff kronenförmig innerhalb kurzer Zeit aushärtet. Mit feinen Fräsen und Polierern wird die provisorische Krone ausgearbeitet.
Üblicherweise aber werden Langzeitprovisorien, zumal solche, die Einfluss auf die Lagebeziehung der Kiefer und die Okklusion nehmen sollen, nach der Abformung beider Zahnreihen durch den Zahnarzt im zahntechnischen Labor, also indirekt angefertigt:
- Herstellen des Arbeitsmodells und des Gegenkiefermodells aus Gips
- Herstellen des Provisoriums in freier Schichttechnik – der Kunststoff wird frei Hand auf das Modell des präparierten Zahnes aufgetragen
- Alternative: Herstellen in Küvettentechnik – Zunächst wird ein Wachsmodell frei Hand hergestellt. Dieses wird dann in einer sogenannten Küvette in Gips eingebettet. Nach Entfernen des Wachses wird der Kunststoff in die dadurch entstehende Hohlform gepresst.
- Alternative: Herstellen in Schlüsseltechnik – Die Form eines zunächst hergestellten Wachsmodells wird mithilfe eines sogenannten Schlüssels, z. B. aus Silikon, fixiert, der reproduzierbar auf das Arbeitsmodell aufgesetzt werden kann. Wird das Wachsmodell entfernt, entsteht wiederum eine Hohlform, in die der Provisorienkunststoff gefüllt wird.
- Stabilitätsgründe können das Einarbeiten eines Metallgerüstes erforderlich machen.
- Nach chemischer Aushärtung des Kunststoffs – in der Regel unter Druck und Temperatureinwirkung – wird das Provisorium mit feinen Fräsen und Polierern ausgearbeitet.
Die Eingliederung des Provisoriums erfolgt in der Zahnarztpraxis. Als provisorisches Befestigungsmaterial haben sich Zinkoxid-Eugenol-Zemente bewährt. Diese sind allerdings ungeeignet, wenn die endgültige Versorgung mittels Adhäsivtechnik (durch mikromechanische Verzahnung mit der Zahnoberfläche) befestigt werden soll. In diesen Fällen muss der provisorische Zement eugenolfrei (frei von Nelkenöl) sein.
Mögliche Komplikationen
- Fraktur (Bruch) des Provisoriums
- vorzeitiges Ablösen des Provisoriums vom Zahn
- Unverträglichkeit gegen den verwendeten Kunststoff, insbesondere gegen das darin geringfügig enthaltene Restmonomer (Einzelbausteine des in einer chemischen Reaktion langkettig vernetzten und dadurch erhärteten Kunststoffs)
Literatur
- Handel G: Langzeitprovisorien. Stellungnahme der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde 2002. DZZ 57 (8)
- Ludwig P & Niedermeier W. (2002). Checkliste Prothetik (1. Aufl.). Thieme Verlag.
- Gernet W, Biffar R, Schwenzer N, Ehrenfeld M & Beuer F. (2017). Zahnärztliche Prothetik (5. Auflage). Thieme Verlag.
- Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.
- Kern M, Wolfart S, Heydecke G, Witkowski S & Türp JC. (2022). Curriculum Prothetik Bände 1-3 (5. Auflage). Quintessenz Verlag.