Nursing-Bottle-Syndrome (Nuckelflaschenkaries)
Als Nursing-Bottle-Syndrome (NBS) – umgangssprachlich Nuckelflaschenkaries genannt – (ICD-10-GM K02.8: Sonstige Zahnkaries) wird das Auftreten von Karies bis zu einer weitgehenden Zerstörung der Milchzähne bei Säuglingen und Kleinkindern bezeichnet, die durch häufige oder dauerhafte Gabe von zucker-, kohlenhydrat- oder fruchtsäurehaltigen Getränken mit einer Nuckelflasche entsteht. Auch die Verwendung von Schnabeltassen oder Trinklerntassen kann zur Ausbildung der Nuckelflaschenkaries führen.
Symptome – Beschwerden
- Beginn an den oberen Schneidezähnen, untere Schneidezähne seltener betroffen.
- Empfindlichkeit auf Süßes und Kälte.
- Schmerzen beim Essen oder Trinken.
- Ausbreitung der Zerstörung bei unverändertem Trinkverhalten.
Nuckelflaschenkaries beginnt meistens an den oberen Schneidezähnen. Die unteren Schneidezähne sind sehr selten betroffen, da die Zunge beim Trinken schützend darüber liegt. Die kariöse Zerstörung macht die Zähne empfindlich für Süßes und Kälte. Die Kinder klagen – sofern sie bereits dazu in der Lage sind – über Schmerzen beim Essen oder Trinken.
Wird am Trinkverhalten nichts verändert, kann sich die schmerzhafte Zerstörung der Zähne auf das gesamte Gebiss ausbreiten.
Geht die Karies so weit in die Tiefe, dass bereits die Pulpa (Zahnnerv) betroffen ist, so verursacht dies starke Schmerzen bei den betroffenen Kindern bis zu Abszessen (Vereiterungen) im Knochen.
Pathogenese (Krankheitsentstehung) – Ätiologie (Ursachen)
- Exzessive Gabe zucker- oder säurehaltiger Getränke.
- Vernachlässigte Zahnpflege.
- Ständige Benetzung der Oberkieferfrontzähne mit schädigenden Getränken.
- Reduzierte Speichelfunktion, besonders nachts.
Ursache für die frühe kariöse Zerstörung der Milchzähne ist die exzessive Gabe von zuckerhaltigen oder säurehaltigen Getränken. Diese werden den betroffenen Kindern in Nuckelflaschen oder Trinklerntassen mehrmals täglich zwischen den Hauptmahlzeiten, aber auch zur Beruhigung oder zum Einschlafen gegeben. Die Kinder trinken so mehrere Stunden täglich, die Zahnpflege wird oftmals vernachlässigt oder gar nicht durchgeführt.
Die ständige Benetzung der Oberkieferfrontzähne mit süßen oder säurehaltigen Getränken verursacht eine massive kariöse Schädigung. Zunächst ist nur der Schmelz betroffen. Schreitet das NBS voran, können die Zähne so stark zerstört werden, dass sie kaum mehr über das Gingivaniveau (Zahnfleischniveau) hinausreichen.
Normalerweise ist der Speichel in der Lage, Säureangriffe zu neutralisieren. Diese Funktion bleibt jedoch aus, wenn kontinuierlich Flüssigkeiten per Flasche verabreicht werden. Des Weiteren wird nachts weniger Speichel produziert, wodurch die Reinigungs- sowie die Pufferwirkung gegenüber Säuren bei der nächtlichen Gabe kohlenhydrathaltiger Flaschennahrung zusätzlich reduziert ist.
In diversen Studien hat sich gezeigt [u.a. 4], dass insbesondere Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen vom NBS betroffen sind.
Folgeerkrankungen
- Notwendige Zahnextraktionen mit negativen Folgen für Sprachentwicklung und Zahnausrichtung.
- Abszesse und Schädigung der bleibenden Zahnkeime.
- Früher Kariesbefall der bleibenden Zähne.
Mitunter müssen stark zerstörte Milchzähne entfernt werden. Dies stellt eine große Beeinträchtigung für die Kinder dar. Zum einen wird die Sprachentwicklung – insbesondere die S-Lautbildung – negativ beeinflusst, wenn die oberen Schneidezähne fehlen. Zum anderen geht ihre wichtige Platzhalter- und Wegweiserfunktion für die nachfolgenden bleibenden Zähne verloren. Ein verfrühter Zahndurchbruch und eine ungünstige Fehlstellung der bleibenden Zähne können resultieren.
Des Weiteren kann es zu Abszessen (Vereiterungen) der Milchzähne im Knochen und infolgedessen zur Zahnkeimschädigung des darunter liegenden bleibenden Zahnes kommen.
Brechen bleibende Zähne bei Vorliegen eines stark kariösen Milchgebisses durch, so kann die Karies bereits frühzeitig auch diese Zähne angreifen und somit das bleibende Gebiss dauerhaft schädigen.
Diagnostik
Durch das charakteristische klinische Erscheinungsbild reicht meist eine einfache zahnärztliche Untersuchung aus, um ein NBS festzustellen. Es ist wichtig, eine genaue Anamnese in Bezug auf das Trinkverhalten des Kindes mit den Eltern durchzuführen, um sie während und nach der Behandlung gezielt beraten zu können, wie zukünftig solch schwerwiegende Zahnschädigungen vermieden werden können.
Therapie
- Behandlung oft in Vollnarkose bei Kleinkindern.
- Erhaltungswürdige Zähne mit Füllungen versorgen.
- Endodontische Behandlungen bei tief reichender Karies.
- Zahnextraktion bei fortgeschrittener Zerstörung.
- Umfassende Elternberatung zur Verhaltensänderung und adäquaten Zahnpflege.
Da die betroffenen Kinder in der Regel Kleinkinder sind, muss in vielen Fällen aufgrund – verständlicherweise – mangelnder Kooperation seitens des kleinen Kindes eine Behandlung in Vollnarkose durchgeführt werden.
Erhaltungswürdige Zähne, deren Zerstörung noch nicht zu stark vorangeschritten ist, werden mit Füllungen versorgt. Ist die Karies bereits bis zur Pulpa (Zahnnerv) vorgedrungen, so kann mitunter eine endodontische Behandlung (Wurzelkanalbehandlung) durchgeführt werden, um den Zahn noch möglichst lange zu erhalten. Hierbei muss immer abgewogen werden, wie gut die Prognose des betroffenen Zahnes ist, ob eine Kooperationsbereitschaft seitens des kleinen Patienten besteht und ob es möglich ist, den Zahn anschließend mit einer adäquaten Füllung zu versorgen, um eine Reinfektion des Wurzelkanals zu vermeiden. Des Weiteren sollte die Milchzahnwurzel zu maximal einem Drittel resorbiert sein.
Oftmals sind jedoch die Frontzähne im Oberkiefer bei Diagnosestellung bereits so stark zerstört, dass eine Extraktion (Entfernung) der Zähne unumgänglich ist.
Eine große Bedeutung kommt der Beratung der Eltern zu. Nur wenn die Eltern das Trinkverhalten des Kindes umstellen und eine adäquate Zahnpflege betreiben, kann ein erneutes Auftreten massiver kariöser Zerstörung verhindert werden. Daher sollte auf die ausführliche, verständliche Beratung der Eltern immer besonders viel Wert gelegt werden.
Prophylaxe
Die Milchzähne sind wichtige Platzhalter für die bleibenden Zähne und sollten unter allen Umständen gepflegt und erhalten werden.
Um die Entstehung eines Nursing-Bottle-Syndroms zu verhindern, sollten Eltern folgende Hinweise beachten:
- Überlassen Sie Ihrem Kind die Flasche oder Schnabeltasse nicht zum Dauernuckeln.
- Geben Sie Ihrem Kind von Anfang an nur ungesüßten Tee oder Wasser.
- Saugerflaschen oder Schnabeltassen sollten nicht zum Einschlafen oder zur Beruhigung gegeben werden, da ein Gewöhnungseffekt entsteht.
- Trinklernflaschen und Schnabeltassen sollten nur kurzfristig als Übergang zur Tasse angewendet werden. Zwischen dem 10. und 12. Lebensmonat sollte das Trinken aus einer Tasse erlernt werden.
- Ab dem Durchbruch des ersten Zahnes sollen die Milchzähne morgens und abends mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta für jeweils zwei Minuten geputzt werden. Ein Nachputzen durch die Eltern ist dabei dringend erforderlich, bis die Kinder acht bis zehn Jahre alt sind.
- Nach dem Zähneputzen und vor dem Zubettgehen darf weder Milch noch Tee oder Fruchtsaft verabreicht werden. Ist das Kind durstig, geben Sie ihm etwas Wasser, das ist noch immer der beste Durstlöscher.
Wenn Sie sich an diese Regeln halten, können Sie das Auftreten schmerzhafter Zahnzerstörungen bei Ihrem Kind erfolgreich vermeiden.
Literatur
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- Wetzel WE: Frühkindliche Karies durch Fehlernährung. zm 98, Nr. 6, Seite 114-118 (2008)
- Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.