Arthrosis deformans des Kiefergelenks
Die Arthrosis deformans des Kiefergelenks – umgangssprachlich Kiefergelenkarthose genannt – (Synonyme: Osteoarthritis; Arthrose des Kiefergelenks; ICD-10-GM K07.6: Krankheiten des Kiefergelenks) ist eine chronisch degenerative Gelenkerkrankung, die das Kiefergelenk, aber auch andere Gelenke, betreffen kann. Sie resultiert aus langjährigen Fehl- oder Überbelastungen, beispielsweise infolge anhaltender Funktionsstörungen. Die Erkrankung tritt ebenfalls infolge von Traumata auf.
Die Erkrankung lässt sich in zwei unterschiedliche Verlaufsformen einteilen:
- Typ I tritt im höheren Lebensalter auf. Zunächst ist nur eines, im Verlauf sind beide Gelenke betroffen. Nach einer Phase von bis zu 18 Monaten kommt es zur spontanen Remission, das heißt die Beschwerden nehmen von allein oder mithilfe der konservativen Funktionstherapie ab. Die Patienten haben nach Abklingen der Symptomatik ein Gleitgelenk, welchem oftmals der Diskus (knorpeliger Puffer zwischen Kiefergelenkköpfchen und Pfanne) fehlt.
- Typ II hingegen nimmt einen anderen Verlauf. Nach Funktionsstörungen oder Trauma (Verletzung) kommt es zu den typischen Symptomen. Die Beschwerden nehmen im Verlauf zu, eine konservative Therapie führt nicht zur Besserung der Symptomatik.
Verlauf und Prognose
Verlauf
- Akuter Verlauf: Plötzlich auftretende, starke Schmerzen, oft nach körperlicher Belastung oder Traumata. Die meisten akuten Fälle verbessern sich mit konservativen Maßnahmen innerhalb von Tagen bis Wochen.
- Subakuter Verlauf: Schmerzen über Wochen, jedoch nicht chronisch. Gute Aussichten auf vollständige Genesung bei konsequenter Fortsetzung der Therapie.
- Chronischer Verlauf: Anhaltende oder wiederkehrende Schmerzen, oft durch degenerative Veränderungen oder chronische Muskelverspannungen verursacht. Erfordert langfristige Managementstrategien.
Prognose
- Gute Prognose: Bei rechtzeitiger und adäquater Behandlung von akuten und subakuten Fällen.
- Chronische Verläufe: Können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und erfordern langfristige Therapieansätze.
- Rückfallrisiko: Besteht insbesondere bei unzureichender Behandlung und fehlender Prävention.
Symptome – Beschwerden
Folgende Symptome und Beschwerden können auf eine Arthrosis deformans des Kiefergelenks hinweisen:
Leitsymptome
Diese Leitsymptome lenken den Verdacht auf eine Arthrosis deformans des Kiefergelenks und werden oft zuerst bemerkt:
- Schmerzen: Treten abhängig von der Funktion des Kiefergelenks auf, z. B. beim Kauen, Sprechen oder Öffnen des Mundes (tritt bei ca. 70-80 % der Betroffenen auf)
Hauptsymptome (primäre Symptome)
Diese Hauptsymptome prägen das klinische Bild der Arthrosis deformans des Kiefergelenks:
- Krepitation im Gelenk: Knirschende oder reibende Geräusche im Kiefergelenk bei Bewegungen (bei ca. 50-60 % der Betroffenen)
- Eingeschränkte Mundöffnung und Seitenabweichungen: Schwierigkeiten beim vollständigen Öffnen des Mundes, oft verbunden mit einer Abweichung des Unterkiefers zur Seite (tritt bei ca. 40-50 % der Betroffenen auf)
Begleitsymptome (sekundäre Symptome)
Diese Begleitsymptome sind weniger charakteristisch und können auf Komplikationen hinweisen:
- Entwicklung eines diskuslosen Gleitgelenks: Führt dazu, dass der Gelenkknorpel zwischen den Kiefergelenkkomponenten verschwindet, was die Beweglichkeit beeinträchtigt und Schmerzen verstärkt.
Pathogenese (Krankheitsentstehung) – Ätiologie (Ursachen)
Häufig sind langjährige Funktionsstörungen oder Parafunktionen (von der Norm abweichende Überfunktionen wie Zähneknirschen sowie Zungen- oder Zähnepressen) die Ursache für die Entstehung der Erkrankung.
Andauernde Fehl- oder Überbelastung kann ebenfalls zur Ausbildung der Erkrankung führen. Ebenso ist es möglich, dass es nach Traumata oder aber auch ohne erkennbare Ursache zur Arthrosis deformans kommt.
- Traumata – z. B. Frakturen (Bruch) des Gelenkköpfchens
- Arthritis der Kiefergelenke
- Fehlende seitliche Stützzonen
- Habituelle Luxation (Verrenkung; vollständiger oder unvollständiger Kontaktverlust (Subluxation) gelenkbildender Knochenenden) des Kiefergelenks
Folgeerkrankungen
Infolge der Arthrosis deformans kommt es häufig zur Ausbildung eines diskuslosen Gleitgelenks.
Diagnostik
Körperliche Untersuchung: Methoden erster Wahl für die Diagnosestellung sind Palpation (Abtasten) und Auskultation (Abhören) der Kiefergelenke.
Radiologisch imponieren Osteolysen des Capitulums (Gelenkköpfchens), im Verlauf der Erkrankung kommt es zur Destruktion (Zerstörung) der Gelenkflächen.
Im Röntgenbild zeigt sich eine Randzackenbildung der Kondylusoberfläche und eine Verschmälerung des Gelenkspaltes, jedoch kann nicht erkannt werden, ob es sich um eine Typ I oder II Erkrankung handelt. Daher sollte in einem Zeitraum von 18 Monaten abgewartet und konservativ therapiert werden, bevor gegebenenfalls die Indikation zur chirurgischen Therapie ansteht.
Inzwischen stellen strahlungfreie bildgebende Techniken wie MRT (Magnetresonanztomographie) und Sonographie (Ultraschall) den Goldstandard dar.
Mittels Arthroskopie (Gelenkspiegelung) kann das Ausmaß der Gelenkdestruktion beurteilt werden. Gleichzeitig kann die Diagnostik mit einer Behandlung wie der Lavage (frz. lavage, „Wäsche“, „Waschung“, „Reinigung“) kombiniert werden.
Therapie
Jede Arthrosis deformans wird zunächst konservativ mittels Funktionstherapie, in der Regel über Schienen, für 18 Monate behandelt, da erst dann eine Unterscheidung zwischen Typ I und II möglich ist.
Bleibt die Therapie erfolglos, so wird häufig zunächst im Rahmen einer Arthroskopie eine arthroskopische Lysis (Auflösung) und Lavage durchgeführt. Dadurch kommt es bei bis zu 40 Prozent der Patienten zu einer deutlichen Abnahme der Beschwerden.
Intraartikuläre Hydrokortisoninjektionen können unter Lokalanästhetikum (örtlicher Betäubung) durchgeführt werden und zur Beschwerdelinderung beitragen.
Bei ausbleibender Besserung ist die Indikation zur chirurgischen Therapie gegeben. Im Rahmen einer Arthroplastik wird der Restdiskus entfernt und die unregelmäßige Gelenkoberfläche geglättet.
Nur in schwierigen Fällen oder bei Rezidiven muss mitunter eine Kondylektomie (Entfernung des Gelenkköpfchens) mit nachfolgendem autogenem Ersatz (meist konstochondrales Transplantat) erfolgen.
Literatur
- Schwenzer N, Ehrenfeld M (Hrsg.): Spezielle Chirurgie. 3. akt. und erw. Aufl. Georg Thieme Verlag 2002
- Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.