Kariesschutz durch Aminfluorid

Der Kariesschutz durch die Anwendung von Fluoriden, so auch durch Aminfluoride, hat in der zahnärztlichen Individualprophylaxe grundlegende Bedeutung.

Fluoride sind Salze der Flusssäure (Fluorwasserstoffsäure, HF) und sind in der Natur weitverbreitet. Sie kommen im Boden und in jedem Wasser vor, dabei finden sich besonders hohe Konzentrationen in Meeren und vulkanischen Böden. Fluorid ist als Spurenelement natürlicherweise im Zahnschmelz enthalten und ist in der Schmelzbildungsphase während der Zahnentwicklung erforderlich. Die Fluoridkonzentration nimmt in der Schmelzschicht zur Zahnoberfläche hin zu.

Je höher die Fluoridkonzentration in der oberflächlichen Schmelzschicht ist, desto resistenter ist der Schmelz gegen Säureeinwirkungen aus der Nahrung oder aus dem bakteriellen Stoffwechsel. Säuren führen zur Demineralisation (Erweichung) des Schmelzes und schließlich zur Kavitation (Entstehen eines Loches).

Zur Kariesprophylaxe werden dementsprechend verschiedene Fluoride eingesetzt, die im wässrigen Mundmilieu leicht Fluoridionen freisetzen, welche in die Schmelzoberfläche durch Ionenaustausch eingelagert werden können und dort eine Härtesteigerung bewirken.

Ein Anstieg der Fluoridkonzentration findet nicht nur im Schmelz, sondern auch in der mikrobiellen Plaque (dem Zahnbelag) statt. Fluoride greifen in den bakteriellen Stoffwechsel ein, indem sie Enzyme hemmen, die für die Verstoffwechselung von Zuckermolekülen erforderlich sind. Ein Abbauprodukt des Stoffwechsels sind organische Säuren. Wird der bakterielle Stoffwechsel gestört, ist der Zahnschmelz seltener der Säureeinwirkung ausgesetzt.

Chemisch kann unterschieden werden zwischen anorganischen Fluoridverbindungen:

  • Natriummonofluorphosphat
  • Natriumfluorid
  • Zinnfluorid

und der Stoffgruppe der organischen Aminfluoride, so z. B.

  • Olaflur
  • Dectaflur
  • Hetaflur

Alle diese zum Kariesschutz eingesetzten Fluoridverbindungen wirken:

  • karieshemmend durch Störung des Plaquestoffwechsels
  • fördernd auf die Remineralisation des Zahnschmelzes (Wiedereinlagerung von Fluorid und anderen Mineralstoffen in die Schmelzoberfläche), dadurch
  • härtesteigernd durch
  • Herabsetzen der Säurelöslichkeit des Schmelzes
  • als Fluoriddepot durch Bildung einer schwer löslichen Calciumfluorid-Deckschicht an der Zahnoberfläche. Aus dieser Deckschicht geht bei Säureeinwirkung Fluorid in Lösung, das zur Remineralisation zur Verfügung steht

Aminfluoride sind Hydrofluoride von Aminen. Die Moleküle verfügen sowohl über hydrophobe (wasserabstoßende) als auch hydrophile (wasseranziehende) Komponenten und wirken dadurch Oberflächen benetzend. Durch diese Tensidwirkung (Tenside sind Substanzen, die die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit herabsetzen bzw. als Lösungsvermittler wirken) unterscheiden sie sich grundsätzlich von den anorganischen Fluoridverbindungen:

  • Zum einen dispergieren Tenside die Plaque (den Zahnbelag) und unterstützen dadurch die Reinigungswirkung von Zahnpasten. Aminfluoridhaltige Zahnpasten benötigen keinen weiteren Tensidzusatz.
  • Zum anderen lagern sich die Aminfluoride auf Grund ihrer Tensidwirkung leicht der gereinigten Zahnoberfläche an und bilden so eine fluoridhaltige Deckschicht.
  • In vitro (unter Laborbedingungen) wurde nachgewiesen, dass Aminfluoride die bakterielle Anhaftung an das Pellikel (Schmelzoberhäutchen) etwas besser hemmen als andere Fluoridverbindungen. Diese Anlagerung aber ist für die Ausreifung einer Plaqueschicht essentiell notwendig. So besitzen Aminfluoride eine leicht plaquereduzierende Wirkung.
  • In Lösung befindliche Aminfluoride haben einen niedrigeren pH-Wert als anorganisch gebundene Fluoride, d. h. die Lösung ist leicht sauer. Was auf den ersten Blick als Nachteil erscheint – schließlich greifen Säuren den Zahnschmelz an – ist tatsächlich von Vorteil, denn in die leicht demineralisierte (entkalkte, erweichte) Schmelzoberfläche ist die Fluorideinlagerung erleichtert. Deswegen sind auch Zahnpasten mit anorganischen Fluoriden in der Regel leicht sauer eingestellt.
  • Aminfluoride durchdringen die bakterielle Zellmembran leichter als anorganische Fluoride und führen dadurch schneller zu einer Hemmung des Bakterienstoffwechsels als anorganische Fluoride.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Aminfluoride werden zur Kariesprophylaxe (Kariesschutz, Vorsorge gegen Zahnfäule) angewendet:

  • In der täglichen Basisprophylaxe in Form von Zahnpasten in unterschiedlicher Dosierung für Kinder unter sechs Jahren bzw. ältere Kinder und Erwachsene
  • Zur erweiterten häuslichen Prophylaxe bei erhöhtem Kariesrisiko in Form von Mundspülungen oder Gelkonzentraten
  • Im Rahmen der Individualprophylaxe in der zahnärztlichen Praxis in Form von konzentrierten Touchierungen, Gelen und Lacken

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Fluoridanamnese: Die angemessene Anwendung von Fluoriden zum Kariesschutz in einer altersabhängigen Dosierung zwischen 0,25 mg und 1 mg pro Tag gilt heute wissenschaftlich als wirksam und absolut unbedenklich. Wie jeder Wirkstoff kann jedoch auch Fluorid bei einer Überdosierung schädlich sein. Daher sollte der Empfehlung fluoridhaltiger Präparate zunächst die ausführliche Fluoridanamnese vorausgehen, in die der Fluoridgehalt des Trinkwassers und von regelmäßig konsumierten Mineralwässern sowie Ernährungsgewohnheiten (fluoridiertes Kochsalz, Meeresfische, Diäten u. a.) mit eingehen müssen.
  • Schluckreflex: Bei Kindern, die bisher nicht in der Lage sind, nach dem Zähneputzen die Zahnpasta auszuspucken, darf nur mit einer klein erbsengroßen Menge niedrig dosierter fluoridhaltiger Kinderzahnpasta (500 ppm, 500 parts per million) geputzt werden, um jegliche Überdosierung zu vermeiden. Ab dem Schulalter, wenn der Schluckreflex beherrscht wird, kann die Umstellung auf Erwachsenen-Zahnpasta mit 1.000-1.500 ppm Fluorid erfolgen.
    Bei Patienten, die keine Kontrolle über den Schluckreflex haben und bei Kindern unter acht Jahren sollten Fluoride nicht mithilfe von konfektionierten Trays (Gelträgern) appliziert werden, da diese eine große Menge Gel und somit Fluorid fassen und der Patient während der ca. vierminütigen Einwirkzeit kontinuierlich überschüssiges Material und Speichel ausspucken können muss.
  • Chronische Überdosierung: Bei konsequenter Fluoridanamnese kann eine Überdosierung ausgeschlossen werden. Werden mehrere systemische mit lokalen Fluoridquellen kombiniert, kann es jedoch zur chronischen Überdosierung kommen.
    • Die Hauptquelle dauerhaft erhöhter Fluoridzufuhr ist das Trinkwasser. In Gegenden mit mehr als 1 ppm (mehr als 1 mg/l) Fluoridgehalt im natürlichen Trinkwasser muss mit  Dentalfluorose gerechnet werden, wenn die erhöhte Dosierung in den ersten acht Lebensjahren erfolgt. Hierbei werden in der Phase der Schmelzbildung die Ameloblasten gestört, in der Folge kommt es zu kreidig geflecktem Schmelz mit Härteverlust. Etwa ein Prozent der europäischen Bevölkerung ist von Dentalfluorose betroffen.
    • Nach einer lebenslangen Trinkwasserbelastung von über 8 ppm (über 8 mg/l) zeigen ältere Menschen verdichtete Knochenstrukturen. Ab 20 ppm kann sich eine Skelettfluorose entwickeln: Fluoride werden in die Knochen eingelagert und führen dort zu Veränderungen. Trinkwasser mit derart hohen Fluoridkonzentrationen kommt beispielsweise in Indien und Südafrika vor.
  • Akute Toxizität: Die untere toxische Grenze liegt bei 5 mg Fluorid pro kg Körpergewicht (Whitford 1992). Akute toxische Nebenwirkungen der Fluoride äußern sich u. a. in Nausea (Übelkeit), Erbrechen, Magenbeschwerden und Diarrhoe. Sie sind direkt abhängig von deren Dosierung. Um Haushaltsunfälle zu vermeiden, werden Zahnpasten für Erwachsene häufig in einer Tubengröße von 75 ml angeboten. Ein Kind von vier Jahren und 20 kg Körpergewicht käme, würde es den gesamten Tubeninhalt essen, an seine untere Toxizitätsgrenze.
  • Überempfindlichkeitsreaktionen: Die Präparate dürfen nicht angewendet werden bei bestehenden Überempfindlichkeiten gegen Aminfluoride oder andere Inhaltsstoffe der Zubereitungen.

Literatur

 

 

  1. Koinig H: Metallkeramik. Verlag Neuer Merkur 2003:165
  2. Schiffner U: Prävention. Curriculum Kinder- und Jugendzahnheilkunde der APW (Akademie Praxis und Wissenschaft) der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) 2011
  3. Roulet JF, Fath S & Zimmer S. (2017). Zahnmedizinische Prophylaxe (5. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
  4. Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.
  5. Hellwege KD. (2018). Die Praxis der zahnmedizinischen Prophylaxe (7. aktualisierte und erweiterte Aufl.). Thieme Verlag.

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe. (AWMF-Registernummer: 083 - 001), Januar 2013 Langfassung