Zahnstabilisator (Retainer)
Ein Retainer (Synonyme: Zahnstabilisator, Retentionsgerät) ist ein herausnehmbares oder festsitzendes kieferorthopädisches Gerät, das zur langfristigen Stabilisierung des Behandlungserfolges einer kieferorthopädischen Therapie nach deren Abschluss getragen wird.
Im Verlauf kieferorthopädischer Behandlungen werden Zähne im Kieferknochen bewegt und ihre Position dadurch optimiert. Dies ist möglich, indem genau dosierte Kräfte eingesetzt werden. Dadurch wird Knochen auf der Seite des Zahnes abgebaut, zu der dieser hin bewegt werden soll, während auf der anderen Seite Knochen neu gebildet wird. Da diese Prozesse nicht an Wachstumsphasen gebunden sind, können Zähne auch noch im Erwachsenenalter bewegt werden.
Durch die Zahnbewegungen werden Gewebe gedehnt und Zug auf Bindegewebsfasern des Parodonts (Zahnhalteapparates) ausgeübt. Wird das kieferorthopädische Gerät nicht mehr getragen, ist die Gefahr eines Rezidivs (Rückstellung in die ursprüngliche Position) gegeben. Bis zu vier Jahren nach einer fest sitzenden Multibandbehandlung weisen die Zähne noch erhöhte Lockerungsgrade auf. Auch das noch nicht abgeschlossene Wachstum bei Jugendlichen und unausgewogene Muskelkräfte können sich negativ auf das Behandlungsergebnis auswirken. In bestimmten Fällen ist die Gefahr eines Rezidivs sogar lebenslang gegeben, wobei genetisch bedingte Anomalien prinzipiell rezidivfreudiger sind als erworbene Fehlstellungen.
Daher müssen die Zähne auch noch nach Abschluss der eigentlichen kieferorthopädischen Behandlung mit speziellen Hilfsmitteln – den Retainern – möglichst lange in ihrer neuen Position gehalten werden. Das Ergebnis wird umso besser ausfallen, je länger die sogenannte Retentionsphase (Haltephase nach Abschluss der Behandlung) ausfällt. Als Faustregel gilt: Die Retentionsphase muss mindestens so lange andauern, wie die aktive Behandlung gedauert hat, häufig jedoch länger. In bestimmten Fällen muss sogar eine lebenslange Dauerretention empfohlen werden.
Retainer gibt es sowohl als herausnehmbare Geräte (passive Plattenapparaturen oder Tiefziehschienen), welche die Zähne jeweils eines Kiefers stabilisieren, als auch in Form fest sitzender Drähte, die in der Regel auf der Lingualfläche (der zur Zunge liegenden Fläche) der Frontzähne fixiert sind.
Verständlicherweise lässt nach Abschluss einer mehrjährigen kieferorthopädischen Behandlung die Compliance, der Wille des Patienten zur eigenverantwortlichen Mitarbeit am Behandlungserfolg, zwangsläufig nach. Und so verwundert es nicht, wenn das eine oder andere herausnehmbare Gerät, wenngleich es nach einer Ausschleichphase nur noch ein- bis zweimal wöchentlich nachts getragen werden muss, schließlich dauerhaft in der Schublade landet. Fest sitzende Retainer reduzieren das Rezidivrisiko daher erheblich.
I. Lingualretainer
Lingualretainer (Kleberetainer) werden in der Regel aus gezogenem oder verseiltem Edelstahldraht oder harten Goldlegierungen gefertigt. Eine nahezu unsichtbare, aber nur wenige Monate haltbare Alternative ist ein Glasfaser-"Draht" in einem Polymer-Harzgelbindemittel (Ever Stick Ortho).
Ferner werden auch aufwändigere Konstruktionen mit lingualen Klebebrackets auf den endständigen Zähnen oder im Gussverfahren hergestellte Lingualretainer verwendet. Diese sind mit den Lingualflächen nicht punktförmig, sondern in ihrer gesamten Ausdehnung verklebt.
Aus Draht gefertigte Kleberetainer liegen den Lingualflächen (Flächen zur Zunge hin) der Zähne grazil auf und werden punktuell mittels der Ätzadhäsivtechnik (Klebetechnik, bei der der Befestigungskunststoff eine mikromechanische Verbindung mit der Schmelzoberfläche eingeht) mit jedem Zahn verbunden. In der Regel werden sie im Ober- und Unterkiefer jeweils von Eckzahn zu Eckzahn (3-3-Retainer) gesetzt, aber auch weiter ausgedehnte oder kleinere Retainer – z. B. zwischen zwei mittleren Schneidezähnen nach Diastemaschluss (Frontzahnlücke) – sind denkbar.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Zur Stabilisierung der erreichten Zahnposition im Frontzahnbereich – z. B. nach Schluss eines Diastema mediale (Synonyme: Trema, Lücke zwischen den mittleren Schneidezähnen) oder nach Lückenschluss eines nicht angelegten seitlichen Schneidzahns
- nach Derotationen (Ausdrehungen) der Schneidezähne
- nach Auflösung eines Frontzahnengstands, insbesondere im Unterkiefer
- Zur Stabilisierung nach vertikalen Zahnbewegungen (Intrusion: verlängerter Zahn wurde in den Kiefer hinein bewegt und dadurch verkürzt; Extrusion: Zahn wurde verlängert)
- nach transversaler Erweiterung (Abstand der Eck- und Seitenzähne wurde bei zu schmalem Kiefer in Querrichtung vergrößert)
- Bei mangelnder Compliance für einen herausnehmbaren Retainer
- Zur Dauerretention
Das Verfahren
- Abdrucknahme mit Alginatabformmasse kann bei diesem Verfahren auch schon vor Entfernung der kieferorthopädischen Apparatur erfolgen, da diese die Lingualflächen der Zähne nicht bedeckt.
- Herstellung von Gipsmodellen auf Basis der Abformungen
- Individuelle Anpassung des Drahts durch Biegen an die Konturen der Lingualflächen. Der Draht muss den Flächen spannungsfrei anliegen.
- Herstellung eines Schlüssels z. B. aus Silikon, der die Übertragung und Fixierung des Drahts im Munde des Patienten erleichtert
- Reinigung der Lingualflächen der Zähne
- Konditionierung – Die Lingualflächen der Zähne werden für 60 Sekunden mit 35%iger Phosphorsäure chemisch aufgeraut. Abspülen der Säure für mindestens 20 Sekunden und Trocknung mit Luft.
- Aufsetzen des Schlüssels nebst eingefasstem Draht auf die Zähne. Der Schlüssel lässt die Lingualflächen zweier Zähne frei, über welche die erste Fixierung des Drahts mittels niedrig viskösem Komposit (Kunststoff) durch Lichthärtung erfolgt.
- Nach Abnehmen des Schlüssels kann der Draht an den verbliebenen Zähnen in gleicher Weise befestigt werden.
- Anleiten des Patienten zur Zahnpflege mit Zahnzwischenraumbürstchen, die zwischen Gingiva (Zahnfleisch) und Retainer in horizontaler Richtung von labial nach lingual (von der Lippen- zur Zungenseite) verwendet werden
Nach dem Verfahren
Die Retentionsphase mit einem Lingualretainer sollte nach Harzer [5] mindestens fünf Jahre andauern und die Retention über den Durchbruch der Weisheitszähne hinaus fortführen, sofern diese nicht ohnehin aus kieferorthopädischen Gründen entfernt wurden. Die Retentionsphase wird vom Kieferorthopäden in längeren Intervallen begleitet.
II. Passive Plattenapparatur
Sie ähneln optisch herausnehmbaren kieferorthopädischen Therapiegeräten, die aktiv Kräfte auf die Zähne ausüben. Anders als diese liegen Plattenapparaturen zur Retention jedoch nur passiv, d. h. ohne Krafteinwirkung und somit spannungsfrei den Zähnen an. Baut sich Spannung auf, so ist diese das Anzeichen für ein Rezidiv, dem durch häufigeres Tragen des Retainers entgegengewirkt werden muss. Ein Vorteil der Plattenapparaturen besteht darin, dass sie bei Anzeichen eines Rezidivs, dem nicht allein durch konsequenteres Tragen entgegengewirkt werden kann, um aktive Elemente erweitert werden können.
Für passive Plattenapparaturen liegen unterschiedliche Konstruktionsprinzipien vor, die sich am Ausgangsbefund und Therapieverlauf orientieren: Sollen beispielsweise während der Retentionsphase Zahnbewegungen in der Vertikalen ermöglicht werden, muss die Konstruktion frei von Metallelementen auf den betreffenden Kauflächen sein (Hawley-Retainer oder Wrap-Around). Dies wird auch erreicht durch einen Spring-Retainer, der sich nur über die Frontzähne erstreckt und diese mit Kunststoffschildern umfasst, durch die ein stabilisierender Draht verläuft. Umfangreiche Bewegungen im Frontzahnbereich oder Derotationen (Ausdrehungen) erfordern die körperliche Fassung der Labialflächen (Vorderseiten der Zähne) der Frontzähne durch einen kunststoffummantelten Labialbogen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Stabilisierung vertikaler Zahnbewegungen
- Freiraum für vertikale Zahnbewegungen (Hawley, Wrap-Around, Spring u. a.)
- Stabilisierung aller Zähne eines Kiefers in ihrer Endposition
- nach Derotationen und umfangreichen Bewegungen im Frontzahnbereich mit kunststoffummanteltem Labialbogen
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Mangelnde Compliance des Patienten hinsichtlich der erforderlichen Tragezeiten
Das Verfahren
- Abdrucknahme in der Regel mit Alginatabformmasse unmittelbar nach Entfernen der festsitzenden Multibandapparatur
- Herstellen von Gipsmodellen auf Basis der Abdrücke
- Herstellen der Platte im zahntechnischen Labor aus individuell gebogenen Halteelementen (Klammern, Knopfanker u. a.) und Kunststoff auf PMMA-Basis (Polymethymethacrylat), in dem diese verankert werden
- Einsetzen des Retainers am Patienten – der Halt der Platte erfolgt über Klammern und/oder Knopfanker und kann durch deren De-/Aktivierung beeinflusst werden.
- Anleiten des Patienten bezüglich der Tragezeiten
III. Miniplastschiene
Nach dem Herstellungsprozess, auch Tiefziehschiene genannt, wird sie aus thermoplastischem, glasklarem Acrylkunststoff angefertigt. Sie umschließt sämtliche Zahnkronen eines Kiefers bis knapp unterhalb des jeweiligen Zahnäquators (weiteste Vorwölbung der Zahnkronen), unter dem sie einschnappt, wodurch sie ohne zusätzliche Klammern Halt findet.
Eine Sonderform der Tiefziehschiene stellt die Essix-Schiene dar: Die thermoplastischen Eigenschaften des Materials ermöglichen, dass Rillen und Noppen, die mithilfe spezieller vorgewärmter Zangen in die Schiene eingebracht werden, kleinere Stellungskorrekturen bewirken.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Stabilisierung vertikaler Zahnbewegungen
- Stabilisierung aller Zähne eines Kiefers in ihrer Endposition durch körperliche Umfassung
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Mangelnde Compliance des Patienten hinsichtlich der erforderlichen Tragezeiten
Das Verfahren
- Unmittelbar nach Entfernung der Multibandapparatur Abdrucknahme mit Alginatabformmasse
- Herstellung von Gipsmodellen auf Basis der Abformungen
- Unter sich gehende Bereiche unter den Zahnäquatoren werden auf dem Gipsmodell ausgeblockt.
- Erwärmung einer zunächst 1-2 mm dicken Kunststoffplatte, bis diese so weit plastifiziert ist, dass sie im Vakuum eines Tiefziehgeräts über das Kiefermodell "tiefgezogen" werden kann, wobei sie sich den Konturen der Zahnkronen anlegt
- Nach Abkühlen des Kunststoffs geht dieser wieder in den festen Zustand über. Der Kunststoff wird knapp unterhalb der Zahnäquatoren getrennt, die Ränder nachgearbeitet, sodass die Schiene störungsfrei für die Weichgewebe von Lippen und Wangen anliegt.
- Eingliedern der Schiene am Patienten – zu starker Halt auf den Zähnen kann hierbei gegebenenfalls noch reduziert werden
- Einüben des Einsetzens und Herausnehmens mit dem Patienten
Nach dem Verfahren
Die Tragezeiten eines herausnehmbaren Retainers sollten nach Harzer [5] nach folgendem Schema ablaufen:
- drei Monate Tag und Nacht
- drei Monate halbtags und nachts
- sechs Monate nachts
- weiter jede zweite Nacht, dann jede dritte Nacht, schließlich einmal wöchentlich und weiter "passend" tragen, d. h.: Wenn der Retainer anfängt zu klemmen, ist dies ein Zeichen für Zahnwanderungen, sodass die Tragefrequenz wieder erhöht werden muss.
Die Retentionsphase wird in immer größer werdenden Abständen der Kontrolltermine vom Kieferorthopäden begleitet.
Literatur
- Diedrich P. (2000). Kieferorthopädie I-III (1. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
- Knak S. (2003). Praxisleitfaden Kieferorthopädie (1. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
- Grohmann U: Kieferorthopädische Apparaturen. Bildatlas. Georg Thieme Verlag 2006: 38 ff
- Schmidseder L: Ästhetische Zahnmedizin. Georg Thieme Verlag 2008: 328
- Harzer W: Kieferorthopädie. Georg Thieme Verlag 2011: 202, 234
- Sander FG, Schwenzer N, Ehrenfeld M, Ahlers MO, Bantleon HP. (2011). Kieferorthopädie (2., neu erstelle und erweiterte Aufl.). Thieme Verlag.
- Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.