Implantation direkt nach Zahnverlust (Sofortimplantation)
Von einer Sofortimplantation spricht man, wenn ein Zahnimplantat (künstliche Zahnwurzel) innerhalb von bis zu acht Wochen nach Zahnverlust in die bisher nicht knöchern regenerierte Alveole (Zahnfach) gesetzt wird. Hierbei wird die primäre Sofortimplantation (unmittelbar nach Zahnverlust) von der sekundären unterschieden, die erst nach Ausheilung der beteiligten Weichgewebe vorgenommen wird.
Der größte Vorteil der primären Sofortimplantation, die verkürzte Behandlungszeit durch Versorgung unmittelbar nach Zahnverlust, geht mit einer Reihe von Nachteilen einher:
- mangelnde Passgenauigkeit zwischen knöchernem Implantatlager und Implantat
- Gingiva (Zahnfleisch), das den Implantathals umgeben muss, steht u. U. nicht ausreichend zur Verfügung
- größere Entzündungstendenz in der Einheilungsphase
Diese Nachteile sind bei der verzögerten, sekundären Sofortimplantation nach üblicherweise vier bis acht Wochen deutlich reduziert:
- die knöcherne Alveole (Zahnfach) des zu ersetzenden Zahnes ist vollständig mit Weichgewebe abgedeckt, aus dem der künftige Zahnfleischrand für das Implantat nun ästhetisch geformt werden kann; deswegen ist die sekundäre Sofortimplantation im oberen Frontzahnbereich prinzipiell der primären vorzuziehen
- die ehemalige Wunde ist nun sicher entzündungsfrei
Zur Sofortimplantation werden in der Regel schrauben- oder zylinderförmige Systeme verwendet. Unter einer Reihe von alloplastischen Implantatmaterialien erscheint gegenwärtig Titan als am besten geeignet, das sich durch hohe mechanische Stabilität, Röntgendichte und Sterilisierbarkeit auszeichnet. Dicht gefolgt wird Titan von yttriumverstärkter Zirkonoxidkeramik. Beiden Materialien ist gemeinsam, dass das knöcherne Implantatlager keine Gewebereaktionen zeigt; sie sind also bioinert (d. h., dass es zu keiner chemischen bzw. biologischen Wechselwirkung zwischen dem Implantat und dem Gewebe kommt). Dadurch können die Implantatkörper einheilen, indem sie in direktem Oberflächenkontakt ohne bindegewebige Trennschicht vom Knochen umgeben werden (Kontaktosteogenese).
Als Material für das oberhalb des Zahnfleischrandes befindliche sogenannte Sekundärteil hat sich Zirkonoxid aufgrund seiner Zahnfarbe durchgesetzt, da es, anders als metallfarbene Sekundärteile, nicht unästhetisch durch keramische Kronen hindurchschimmert.
Zielsetzung der Sofortimplantation
- Zeitersparnis: Durch die Sofortimplantation wird die Behandlungszeit reduziert, da der Ersatz des verlorenen Zahns unmittelbar oder kurz nach dem Zahnverlust erfolgt.
- Ästhetik: Durch die sofortige Einsetzung des Implantats kann die ästhetische Kontur des Zahnfleischrandes besser erhalten werden, was insbesondere im sichtbaren Bereich des Gebisses, wie im Frontzahnbereich, von Vorteil ist.
- Knochenregeneration: Die Sofortimplantation kann dazu beitragen, einem Rückgang des Alveolarknochens entgegenzuwirken, indem sie den natürlichen Druck und die Belastung auf den Knochen aufrechterhält.
- Vermeidung von Weichgewebeverlust: Durch die Sofortimplantation wird das Weichgewebe um das Implantat herum besser erhalten, was zu einer besseren Passform und Ästhetik des Zahnfleischrandes führt.
- Funktionelle Rehabilitation: Die Sofortimplantation ermöglicht eine schnellere Wiederherstellung der Kaufunktion und damit eine verbesserte Funktion des Gebisses.
- Verminderung von psychologischem Stress: Durch die sofortige Versorgung des Zahnverlusts kann der psychologische Stress für den Patienten reduziert werden, da er schnellstmöglich eine Lösung für sein ästhetisches und funktionelles Problem erhält.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Die Indikation für eine Sofortimplantation sollte eng gestellt werden und nur unter folgenden Voraussetzungen erfolgen:
- sowohl das knöcherne Implantatlager als auch die beteiligten Weichgewebe müssen entzündungsfrei sein; das bedeutet, dass z. B. nach der Extraktion (der Entfernung) eines Zahnes mit apikaler Parodontitis (Entzündung der Wurzelspitzenumgebung) keine Sofortimplantation erfolgen darf
- das Knochenangebot muss quantitativ ausreichend sein, d. h. das Implantat muss rundherum von Knochen umgeben sein und somit im Knochen fixiert werden können. Nur dann ist neben der ausreichenden Primärstabilität (messbarer Festigkeitswert unmittelbar nach Implantation) mittelfristig auch eine akzeptable Ästhetik der Gingiva (des Zahnfleisches) zu erwarten.
- auch die Knochenqualität muss derart beschaffen sein, dass mit ausreichenden Festigkeitswerten gerechnet werden kann
- auch der weitere Zahnbestand und Zahnhalteapparat sollten entzündungsfrei sein, weil andernfalls die entzündungsfreie Implantateinheilung gefährdet ist
- in der Regel atrophiert (bildet sich) der Alveolarknochen (zurück), nachdem ein Zahn verunfallt ist oder extrahiert (gezogen) werden musste. Je schneller die Implantation einer künstlichen Zahnwurzel erfolgt, desto wirkungsvoller kann dieser Alveolarkammatrophie vorgebeugt werden.
Eine Sofortimplantation bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass das Implantat postoperativ auch einer Sofortbelastung ausgesetzt werden kann. Für diese müssen wiederum auch besonders günstige Voraussetzungen gegeben sein, da in der Einheilphase nur eine eingeschränkte, vorsichtige Belastung erlaubt ist:
- die Okklusionsverhältnisse (Verschlussverhältnisse) müssen eine vorsichtige Belastung z. B. eines Einzelimplantats mit provisorischer Krone (vorübergehender Kronenversorgung) ermöglichen
- bei der Versorgung eines zahnlosen Kiefers müssen die Implantate statisch so gesetzt sein, dass sich eine günstige Kaulastverteilung ergibt; nur dann können die Implantate, stabilisiert über Stege oder brückenähnlich fixierte Prothesen, sofort belastet werden
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Kinder
- Jugendliche, die sich noch in der Wachstumsphase befinden
- Wundheilungsstörungen bei Allgemeinerkrankungen, z. B. Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Geschwächte Immunabwehr
- Mangel an umgebender Knochensubstanz
Vor der Operation
Grundsätzlich ist nicht jeder Kieferknochen und auch nicht jeder Patient für eine Versorgung mit Implantaten geeignet. Präimplantologisch muss daher eingehende Diagnostik betrieben werden:
- Allgemeinanamnese: zum Ausschluss allgemeinmedizinischer Kontraindikationen
- Schleimhautbefund
- Knochenbefund
- Röntgendiagnostik
- Beurteilung der Knochenquantität und -qualität
- Auswahl der Implantatgröße
Neben der Diagnostik ist die umfassende Information des Patienten über die alternativen Implantationsmethoden, Alternativen zur Implantation an sich, Risiken und Kontraindikationen sowie die weitere postoperative Vorgehensweise erforderlich. Zu den Risiken zählen beispielsweise:
- Verletzungen angrenzender Bereiche und Nerven
- Materialunverträglichkeiten
- Infektion des Operationsgebietes
- verzögerte Wundheilung
- Implantatverlust
- mangelhafte Mundhygiene
Das Operationsverfahren
Eine Sofortimplantation kann prinzipiell unter Lokalanästhesie (örtlicher Betäubung) erfolgen. Die Vorbereitung des Operationsplatzes unter steriler Vorgehensweise ist unabdingbar. Intraoperativ erfolgt:
- Schnittführung
- auf die Implantatposition kann nur bedingt Einfluss genommen werden, da diese durch die Alveole (das Zahnfach) des zu ersetzenden Zahnes weitestgehend vorbestimmt ist
- Präparation des knöchernen Implantatlagers mithilfe von speziellem, exakt auf die Implantatgröße abgestimmtem Instrumentarium
- Prüfen der Primärstabilität (Festigkeit des Implantats unmittelbar nach dem Setzen)
- Setzen einer Verschlussschraube für die Einheilphase und Verschließen der Wunde mit Nähten oder
- alternativ bei Sofortbelastung Versorgung mit Sekundärteil und z. B. einer Krone als provisorischem Zahnersatz
- Röntgenkontrolle der Implantatposition
Anästhesieverfahren: Lokalanästhesie (örtliche Betäubung), ggf. Sedierung
Operationsdauer: 30-90 Minuten
Nach der Operation
Postoperativ erfolgt die Entfernung der Nähte nach frühestens einer Woche sowie regelmäßige Nachkontrollen während der drei bis vier Monate dauernden Einheilphase. Danach wird bei zweizeitigem Vorgehen das Implantat in einer weiteren Operation freigelegt. Die im Implantatpfosten befindliche Verschlussschraube wird hierbei durch einen sogenannten Gingivaformer ersetzt, der bis zur endgültigen prothetischen Versorgung im Implantat verbleibt.
Mögliche Komplikationen
Mögliche Komplikationen können sich intraoperativ (während der Operation), postoperativ oder noch später ergeben, wenn das Implantat den üblichen Belastungen durch den Kauvorgang ausgesetzt ist:
- intraoperativ: z. B. unverhältnismäßig starke Blutungen, Verletzungen von Nerven, Eröffnung der Kiefer- oder der Nasenhöhle, Verletzung von Nachbarzähnen, starke Passungenauigkeiten zwischen Implantat und Implantatbett
- in der Einheilungsphase: z. B. unverhältnismäßig starke Schmerzen, Hämatome (Blutergüsse), Infektion (Entzündung) des Operationsbereiches, Nachblutung
- in der Belastungsphase: z. B. Implantatfraktur (-bruch), Probleme mit der prothetischen Suprakonstruktion, Periimplantitis (Entzündung der knöchernen Implantatumgebung) bis zum Implantatverlust
Literatur
- Schwenzer N, Ehrenfeld M (Hrsg): Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde: Lehrbuch zur Aus- und Weiterbildung. Band 3: Zahnärztliche Chirurgie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2000
- Horch HH. (2005). Zahnärztliche Chirurgie (4. Aufl.). Urban & Fischer in Elsevier.
- Koeck B. (2005). Praxis der Zahnheilkunde – Implantologie (2. Edition). Elsevier, München / Urban & Fischer.
- Cacaci C, Neugebauer J, Schlegel KA & Seidel F. (2006). Orale Implantologie (1. Aufl.). Thieme Verlag.
- Borsay P: Zahnimplantate & Co. Trias Verlag 2007
- Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.
- Schwenzer N & Ehrenfeld M. (2019). Zahnärztliche Chirurgie (5. Aufl.). Thieme Verlag.
- Filippi A, Saccardin F & Kühl S. (2022). Das große 1 x 1 der Oralchirurgie (1. Aufl.). Quintessenz Verlag.